Das allgegenwärtige "man"

Die Art und Weise, wie wir sprechen, sagt viel darüber aus, wer wir sind. Besonders eine sehr distanziert wirkende Sprache mit vielen Wörtern wie "man" und "es" oder die häufige Verwendung von Substantiven, drückt oft aus, dass der Sprecher keine Verantwortung für sein Leben, seine Gefühlszustände und sein Erleben übernehmen möchte.

"Man hat schon Angst", "man fühlt sich allein gelassen" oder "man wird wütend", sind Sätze, die wir im Alltag ununterbrochen hören. Den meisten Menschen ist nicht bewusst, warum sie dieses "man" so häufig gebrauchen.

Sprache bestimmt mit, WIE wir wahrnehmen. Der Sprecher, der das Wort "man" verwendet, anstatt "ich" zu sagen, unterstellt, dass es allen anderen Menschen auch so geht und distanziert sich damit gleichzeitig von seinen Gefühlen. Wir können das sehr leicht überprüfen, indem wir den Satz "Man hat schon Angst" aussprechen und genau überprüfen, was wir dabei empfinden und wie sich das anfühlt und ihn dann mit dem Satz "Ich habe Angst" vergleichen. Den meisten Menschen wird dann bewusst, dass sie deutlich mehr spüren, wenn sie "ich" statt "man" sagen.

Ebenso ist es mit dem "es" und dem inflationären Substantivgebrauch. Z.B.: "Da ist so eine Traurigkeit", anstatt "Ich fühle mich traurig" oder "Es ist so eine Angst da", anstatt "Ich habe Angst, wenn ich nachts alleine auf der Straße bin". Es wirkt im Zuhören dann so, als seien das "Ich" des Sprechers und das Gefühl etwas völlig Getrenntes, ein Fremdkörper, von dem der Sprecher sich distanzieren will. Es besteht dann keine Chance zu fragen, wo diese Traurigkeit sitzt, was derjenige dazu tut, sich traurig zu fühlen und zu untersuchen, wie er diese Traurigkeit möglicherweise selbst erzeugt und verstärkt. Bisweilen begegnen wir in der Psychotherapie dann dem infantilen Wunsch, der Therapeut möge dieses Gefühl für uns wegmachen (wegzaubern?).

Insbesondere Gestalttherapeuten legen sehr viel Wert auf derartige sprachliche Distanzierungen, die uns von unserem Erleben und unseren Gefühlen weg führen. Uns geht es darum, dem Menschen wieder das volle Spektrum seiner Wahrnehmungen und Gefühle zur Verfügung zu stellen und ihn gleichzeitig von der Illusion der Verantwortungslosigkeit für sein Leben zu befreien. Nicht irgendein Etwas bestimmt, wie wir unser Leben empfinden und erleben, sondern wir machen das selbst.

Wenn wir beginnen, die volle Verantwortung für unser Erleben und unser Leben zu übernehmen, beginnen wir Schritt für Schritt freier zu werden und gewinnen Handlungsspielräume zurück, wir werden im besten Sinne lebendiger und ausdrucksstärker.

Literatur

Votsmeier-Röhr, Achim & Wulf, Rosemarie (2017). Gestalttherapie. Wege der Psychotherapie. Reinhardt Verlag.