Medienkonsum und Gestalttherapie

Kommunikation zwischen Menschen ist manchmal schwierig und missverständlich, weil wir nie sicher sein können, dass dasjenige was wir senden (sagen, schreiben, zeigen) beim Empfänger auch so ankommt, wie wir es gemeint haben. Erinnern Sie sich an das Kinderspiel "Stille Post"? Viele haben es wahrscheinlich im Kindergarten oder in der Grundschule gespielt und am Ende entstand Heiterkeit daraus, dass etwas völlig anderes ankam, als ursprünglich gesendet wurde.

Ähnliches beobachten wir heute im Internet, wo die Algorithmen sozialer Medien wie Facebook, Instagram oder Snapchat dafür sorgen, dass möglichst emotionale Nachrichten bevorzugt werden, während neutrale, sachliche Artikel in der großen Masse der Informationen oft untergehen. Mehr Emotion bringt mehr Klicks und damit auch mehr Werbeeinnahmen. Dadurch entstehen oft extreme Verzerrungen, weil die große Masse der einigermaßen vernünftig argumentierenden Menschen komplett untergeht oder sich sogar ganz von Social Media abwendet.

Aus gestalttherapeutischer Sicht findet in den Sozialen Medien überhaupt keine Kommunikation statt und zwar deshalb, weil Sender und Empfänger nicht wirklich in Kontakt kommen. Überschriften wie "Die Rechten haben…" oder "Ausländer verüben…" bringen uns sofort in Kontakt mit unseren Vorurteilen, Vorannahmen und Brain Scripts, aber nicht mit dem Sender. In der realen Welt würden wir vielleicht nachfragen: Warum sagst du das? Woher hast du deine Informationen? Wie meinst du das? Wie bist du zu deiner Überzeugung gelangt? Gibt es dafür auch Belege? – Hier haben wir noch eine Chance, mit dem Sender tatsächlich in Kontakt zu kommen und seine Argumente zu verstehen. In den Sozialen Medien ist das sehr häufig nicht mehr der Fall. Hier wird nur noch bewertet und zwar entlang unserer eigenen Voreingenommenheiten, die es häufig nicht zulassen, dass wir uns neuen Informationen gegenüber öffnen.

Der Begriff "Soziale Medien" ist deshalb sehr schlecht gewählt. Er meinte ursprünglich, dass hier Interaktion mit anderen Menschen möglich ist, in Abgrenzung zum Web 1.0, wo nur Information veröffentlicht werden konnte, ohne die Möglichkeit, irgendwie darauf zu reagieren. Sozial ist an diesen Medien aber gar nichts, eher im Gegenteil, sie führen zu einer Verrohung der Kommunikation und verhindern teilweise echten Kontakt.

"Echter Kontakt" in der Gestalttherapie meint, dass ich mit mir selbst und meinen fünf Sinnen wirklich in Kontakt bin und sodann auch in der Lage, mit einem anderen Menschen voll in Kontakt zu gehen. Was sehe ich wirklich, was höre ich, was spüre ich gerade jetzt, wie fühlt sich das körperlich an? Echter Kontakt heißt, dass keinerlei Vorurteile und Vorannahmen zwischen mir und dem anderen stehen, dass ich mich wirklich einlasse und offen und neugierig bin. Echter, voller Kontakt heißt auch, dass ich mich mehr auf Beschreibungen konzentriere und Bewertungen weitestgehend vermeide. Herr A macht X. Frau B macht Y. Ob das gut oder schlecht ist, weiß ich nicht. Das hängt vom Kontext ab und auch von unseren Vorerfahrungen. Je mehr wir es schaffen, Bewertungen zu vermeiden, desto eher bleiben wir offen für den anderen und desto eher findet echter Kontakt statt.

In der Konsequenz bedeutet das wahrscheinlich auch, dass wir umso neurotischer werden, je weniger wir mit echten Menschen im wirklichen Leben direkt von Face to Face kommunizieren. Gestalttherapie betont den echten Kontakt zwischen Menschen im Sinne Martin Bubers als Ich-Du-Kontakt und nicht als Ich-Es-Kontakt. Letzteres wäre, sehr einfach ausgedrückt, ein Kontakt, in dem ich das Gegenüber als Sache oder Gegenstand betrachte, aber nicht als lebendigen, atmenden Menschen mit Gefühlen, Bedürfnissen und einem eigenen Willen. Im echten Kontakt erfasse ich nicht nur, was gesagt wir, sondern auch wie es gesagt wird und ich kann die Bedürfnisse, den Menschen, hinter dem Gesagten spüren. Echter Kontakt ermöglicht auch echte, authentische Kommunikation und macht uns menschlicher und mitfühlender, während der Kontakt mit Überschriften, Schlagzeilen und Reizthemen uns in der Regel nur emotionalisiert und in Folge von anderen Menschen auch entfremdet.

Literatur

Buber, Martin (2002). Das dialogische Prinzip. Gütersloher Verlagshaus.