Psychosomatik

Viele Menschen denken immer noch, dass eine psychosomatische Erkrankung dann vorläge, wenn bei einer Erkrankung keine somatischen Ursachen gefunden würden. Insofern erleben Patienten, denen eine psychosomatische Erkrankung diagnostiziert wird, häufig Scham und Widerstand. Und nicht selten hört man dann den Satz: "Ich bin doch nicht verrückt!"

Ein derartiges Verständnis psychosomatischer Erkrankungen ist jedoch sehr veraltet. Unter Psychosomatik versteht man heute die wechselseitige Beeinflussung von Körper und Psyche. Körperliche Erkrankungen können von psychischen Konflikten sowohl ausgelöst als auch verschlimmert werden. Umgekehrt können körperliche Erkrankungen auch erhebliche psychische Belastungen bewirken.

Wir wissen heute aus der Psychoneuroimmunologie, dass psychische Konflikte direkt auf den Körper wirken können, indem beispielsweise anhaltender Stress oder gedrückte Stimmung das Immunsystem beeinflusst und uns anfälliger für Infektionskrankheiten macht. Umgekehrt hat auch eine scheinbar rein körperliche Erkrankung wie ein gebrochenes Bein vielfache psychische Vorbedingungen. So war ich, wenn ich mir ein Bein brach, möglicherweise unaufmerksam, übermüdet oder gar dissoziiert. Das alles sind psychische Vorbedingungen für den späteren Unfall und die scheinbar komplett körperliche Diagnose "Beinbruch".

Der Stand der Forschung ist heute der, dass körperliche und psychische Erkrankungen immer ineinander wirken. Ein Beispiel dafür wäre etwa eine Diagnose wie HIV, die heute in der westlichen Welt gut kontrollierbar ist und in der Regel eine normale Lebenserwartung ermöglicht. Dennoch gibt es einige wenige Menschen, die nach so einer Diagnose de facto in eine permanente Depression fallen, während andere, nach einer kurzen Schockphase, weitestgehend normal weiterleben und sowohl körperlich wie psychisch kaum Beeinträchtigungen erleben.

Der berühmte Psychiater und Pionier der Psychosomatik, Erwin Ringel (1921 – 1994), soll einmal gesagt haben: "Es gibt nur psychosomatische Erkrankungen und solche, von denen wir noch nicht wissen, dass sie psychosomatisch sind."

In der Gestalttherapie bringen wir psychosomatische Erkrankungen auch mit dem Mechanismus der Retroflektion in Verbindung. Darüber habe ich bereits in einem anderen Blog geschrieben. Siehe: https://www.psyonline.at/blog/16421/retroflektion-und-psychosomatik